Ein lesenswerter Bericht des Spiegel/Printausgabe vom 19.12.2015
http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/140508741
Lobbyismus
„Das schaut ganz Deutschland“
Eine PR-Gruppe um den letzten #DDR-Regierungschef Lothar de Maizière orchestrierte in Berlin eine Kampagne für die Freilassung der ukrainischen Politikerin Julija Tymoschenko.
Im Dezember 2011 war Julija Tymoschenko tiefer gefallen als jemals zuvor in ihrer Karriere. Seit Monaten saß die ehemalige ukrainische Premierministerin im Gefängnis. Ein Rückenleiden machte ihr zu schaffen. Trotzdem trieb die ukrainische Justiz die Ermittlungen gegen Tymoschenko voran. Gerade erst hatte ein Gericht sie zu sieben Jahren Haft wegen angeblichen Amtsmissbrauchs verurteilt. Nun drohte das nächste Verfahren, wegen Steuerhinterziehung.
Doch Hilfe war unterwegs. Arsen Awakow, ein Parteifreund Tymoschenkos, baute in jenen Tagen Kontakte zu Berliner Lobbyisten auf. Sie sollten helfen, Tymoschenko aus dem Knast zu befreien. Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière gehörte dazu, außerdem die Berliner Lobbyfirma German PR and consulting group, kurz GPRC. Sie überlegten, wie man auf das Schicksal Tymoschenkos aufmerksam machen könnte.
Als Erstes sollte die Medienpräsenz erhöht werden. Am 12. Dezember 2011 erschien in der „Bild“-Zeitung ein Interview mit Jewhenija Tymoschenko, der schönen Tochter Julija Tymoschenkos, unter der Überschrift: „Meine Mutter stirbt, wenn ihr keiner hilft!“ Die Unterstützer feierten den Artikel als „große Arbeit“ und „Riesending“: „Stellt es euch einfach vor. Nach dieser Veröffentlichung gibt es bestimmt Resonanz in anderen Medien.“
Die E-Mail ist Teil eines größeren Aktenkonvoluts, das dem SPIEGEL vorliegt. Es offenbart, wie Tymoschenkos Unterstützer in der Ukraine gemeinsam mit deutschen PR-Strategen versuchten, den Fall der prominenten Politikerin in der Bundesrepublik auf die Agenda zu setzen. „Freiheit für Julija Tymoschenko“ nannten sie ihre Kampagne.
Es ist nicht verwerflich, wenn die Unterstützer einer gefangenen Politikerin für deren Freilassung mithilfe bezahlter PR-Profis kämpfen. Interessant aber ist der Vorgang allemal: Er erlaubt einen seltenen Blick hinter die Kulissen des deutschen Politbetriebs. Die Kampagne für Tymoschenko ist ein Lehrstück über Lobbyarbeit in Berlin, sie zeigt, wie Strippenzieher in der Hauptstadt Medien und Politik zu beeinflussen versuchen.
Die Arbeit des Unterstützerkreises dürfte erheblich dazu beigetragen haben, dass der Fall Tymoschenko große Aufmerksamkeit erlangte. Ihre Freilassung wurde zur Schicksalsfrage für den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Dieser weigerte sich, entsprechenden Forderungen des Westens nachzugeben. Wenig später scheiterte das geplante Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union – und der Maidan-Aufstand nahm seinen Lauf.
Leicht hatten es Lothar de Maizière und seine PR-Kollegen nicht: Die Ukraine war Ende des Jahres 2011 kein drängendes Thema der deutschen und europäischen Politik. Dass Janukowytsch später die Flucht ergreifen könnte und russische Separatisten Teile des Landes besetzen würden, schien damals noch unvorstellbar.
Auch um den Ruf von Julija Tymoschenko war es nicht immer zum Besten bestellt. In den wilden Neunzigerjahren verdiente sie ein Vermögen bei Gasgeschäften mit Russland, so erwarb sie sich in den Medien den Spitznamen Gasprinzessin.
Danach wechselte sie in die Politik. Ihr mutiger Auftritt bei den Massendemonstrationen in Kiew im Jahr 2004, ihr Charisma und ihr blonder Haarkranz machten sie zur Ikone der Orangen Revolution. Nach dem Umsturz stieg Tymoschenko zur Premierministerin auf und setzte in Kiew auf einen westlichen Kurs. Doch die folgenden Jahre waren von Regierungswechseln und politischem Streit gekennzeichnet.
Durch den Wahlsieg ihres ewigen Kontrahenten Janukowytsch im Frühjahr 2010 geriet Tymoschenko in die Defensive. Die ukrainische Justiz ermittelte nun gegen sie wegen Amtsmissbrauchs und anderer Delikte. Angeblich soll Tymoschenko in ihrer Amtszeit den Staat bei Gasgeschäften mit Russland geprellt haben, was Tymoschenko stets bestritt. Im Sommer 2011 wurde sie verhaftet. Doch die Bestürzung im Westen hielt sich in Grenzen, auch bei der Bundesregierung. Das sollten die Lobbyisten ändern.
Am 20. Dezember 2011 überwies die Firma Investor Italia eine Summe von 250 000 Euro auf ein Konto der Berliner Commerzbank, weitere 250 000 Euro sollten laut Vertrag folgen. Investor Italia befand sich lange Zeit im Firmenbesitz von Arsen Awakow, dem damaligen Parteifreund Tymoschenkos und derzeitigen Innenminister der Ukraine. Noch heute soll er die Unternehmensgruppe kontrollieren. Auch eine E-Mail Awakows legt nahe, dass er die Finanzierung stellte. Awakow reagierte nicht auf Anfragen des SPIEGEL. Julija Tymoschenko wollte sich nicht zu den Hintergründen der Kampagne äußern.
Empfänger des Geldes war die Berliner Firma GPRC. Sie wird von Konstantin Panovko und Igor Pobereschski geleitet, zwei Männern, die gern heikle Jobs annehmen. Die Lobbyisten waren Unterlagen zufolge auch für das Regime des kasachischen Herrschers Nursultan Nasarbajew aktiv.
Besondere Hoffnung setzte die Truppe in Lothar de Maizière, den „Veteranen“, wie der Berliner Rechtsanwalt in dem Dossier genannt wird. De Maizière sollte nach Kiew reisen, um über das Schicksal Tymoschenkos zu verhandeln.
Als Gesicht der Kampagne wurde Jewhenija Tymoschenko auserkoren, die Tochter Julijas. Sie sollte die „humanitären und emotionalen Aspekte“ der Kampagne personifizieren. Auch mit ihrer Hilfe wollte der Stab die „mitleidende Stimmung der Medien“ unterstützen und den Fall Tymoschenko zu einem „trendy Thema“ machen. So steht es in einer Roadmap für die Kampagne „Freiheit für Julija Tymoschenko“. Das Ziel: Die Politikerin sollte bis zu den Parlamentswahlen im Oktober 2012 freikommen.
Eine der ersten Operationen war die Platzierung des Themas in den Medien. Auf den Artikel in der „Bild“ folgte am 12. Januar 2012 ein Auftritt Jewhenija Tymoschenkos im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das schaut ganz Deutschland“, jubelten die Unterstützer. Vermittelt hatte die Interviews der Politikberater und frühere SPIEGEL-Journalist Ulrich Deupmann. Er sei gebeten worden, Kontakt zu den Medien herzustellen, sagt Deupmann, und habe gern bei der „Freilassung einer politischen Gefangenen“ geholfen.
Doch welchen Einfluss hatte die Gruppe auf die deutsche Politik? In einer E-Mail der Lobbygruppe ist die Rede davon, dass Lothar de Maizière in Sachen Tymoschenko „mit Billigung“ der deutschen Regierung verhandelte. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit Jewhenija Tymoschenko zum Gespräch. Ausweislich einer internen Terminübersicht kam der Unterstützerkreis mit weiteren Regierungsvertretern zusammen, etwa dem deutschen Botschafter in Kiew. Bei den Treffen sollte auch über eine „humanitäre Lösung“ des Problems geredet werden: eine medizinische Behandlung Tymoschenkos im Ausland.
De Maizière will sich nicht zu dem Mandat äußern. Dafür redet sein langjähriger Weggefährte Thilo Steinbach – allerdings nicht so gern über sein Wirken in Berlin. Lieber beschreibt er seinen Job in Kiew: Ja, er und de Maizière hätten mit dem stellvertretenden ukrainischen Generalstaatsanwalt Renat Kusmin über das Schicksal Tymoschenkos verhandelt.
Eine wichtige Funktion fiel dabei Medizinern der Berliner Universitätsklinik Charité zu, die Tymoschenko untersuchen sollten. „Die Ärzte reisen an, sie erklären, dass Julija Tymoschenko ernsthaft krank ist – und sonst nichts“, heißt es in einer E-Mail von GPRC. Journalisten und Politiker würden dann schon „ihre Schlüsse“ ziehen.
Im Februar 2012 reiste Charité-Chef Karl Max Einhäupl mit dem Orthopäden Norbert Haas nach Charkiw, um Tymoschenko zu untersuchen. Lothar de Maizière stellte den Kontakt zur Charité her, auch das Kanzleramt war in die Reise involviert. Die Ärzte stellten fest, dass Tymoschenko „ernsthaft krank“ sei und nicht in einer Strafanstalt behandelt werden könne.
An keiner Stelle finden sich in den Unterlagen Hinweise, dass die Diagnosen nicht stimmten. Aber die Folgen für die politische Stimmung waren enorm.
Eine Delegation des Europarats flog in die Ukraine und rügte Tymoschenkos Haftbedingungen. Mehrere EU-Außenminister wiesen die Ukraine in einem gemeinsamen Appell, der in der „New York Times“ abgedruckt wurde, darauf hin, dass die Unterdrückung der Opposition die europäische Integration der Ukraine gefährde. Parallel dazu gab Tochter Jewhenija Interviews in Deutschland.
Sicherlich waren nicht alle Medien auf PR-Leute angewiesen, um den Fall Tymoschenko interessant zu finden. Auch das Kanzleramt sieht sich nicht als ausführendes Organ von Lobbyisten. Lothar de Maizière und GPRC hätten „weder auf die Politik der Bundesregierung gegenüber der Ukraine“ noch auf das Vorgehen „im Fall der damals inhaftierten Julija Tymoschenko“ Einfluss genommen, sagt ein Regierungssprecher.
Trotzdem zog GPRC-Geschäftsführer Konstantin Panovko im März 2012 eine euphorische Zwischenbilanz. Dank der „Interviews der Tochter, der Beiträge in den Medien und der Konsultationen der Politiker wurde dieses Thema zum untrennbaren Teil der Agenda bei allen Gesprächen zwischen Kiew und EU, zwischen Kiew und Berlin“.
Der Unterstützerkreis habe in der kurzen Zeit eine „ganze Reihe von beispiellosen Aktionen auf der westeuropäischen politischen Bühne durchführen“ können, die das Schicksal von Tymoschenko „in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Medien, der Politiker und der Parlamentsabgeordneten stellte“. Der Druck auf die ukrainische Regierung steige – und zeige die Bereitschaft der Europäer, „fast bis an die Grenze des Möglichen in den Beziehungen mit Kiew zu gehen“.
Sogar der dürftige Ruf Tymoschenkos schien auf einmal neutralisiert: „Das hohe Ansehen dieser Politiker kompensiert den Mangel an positivem Image von Julija Tymoschenko im Westen“, schrieb Panovko. Nun müsse man den Europäern noch nahebringen, dass Tymoschenko „immer treu zur Reformpolitik in der Ukraine“, den „liberalen und demokratischen Werten“ und zu Europa „stand und steht“.
Mehrfach reisten die Charité-Ärzte nach Charkiw. Im April 2012 bezeichneten sie Tymoschenko als „weder verhandlungs- noch vernehmungsfähig“, der Bandscheibenvorfall sei „unzureichend behandelt“ worden. Die Ukrainer verlegten Tymoschenko daraufhin in ein Krankenhaus. Tymoschenko erklärte, sie sei dabei misshandelt worden – und trat in den Hungerstreik.
Die Nachricht löste in Berlin noch heftigere Reaktionen aus. Bundespräsident Joachim Gauck sagte eine Ukrainereise ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ durchblicken, dass sie nicht zur Fußball-Europameisterschaft fahre, falls Tymoschenko dann im Gefängnis sitze.
Doch dann setzte ausgerechnet Tymoschenkos Tochter Jewhenija die Unterstützung Merkels aufs Spiel. Am 7. Mai reiste die heute 35-Jährige nach Paderborn. Die Bundeskanzlerin absolvierte dort einen Wahlkampftermin für die anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. An Jewhenijas Seite fuhr der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok mit. Die Tochter wollte offenbar einen Auftritt mit Merkel erzwingen, dieses Mal auf großer Bühne. International hätte das gewiss für Aufsehen gesorgt. Doch Merkel verweigerte ein weiteres Treffen – und beließ es bei einer Erwähnung Tymoschenkos, die zeitweise im Publikum saß.
Intern wurde der Paderborn-Trip heftig kritisiert: Tymoschenkos Anreise mit dem „guten Onkel Brok“ sei „grauenhaft“ gewesen, schrieb Igor Pobereschski von der Lobbyfirma GPRC. Schon lange habe er es nicht mehr mit einer solchen „Kurzsichtigkeit“ zu tun gehabt, die „an Dummheit grenzt“. Merkel sei jetzt „wütend“, Jewhenija käme nicht mehr ins „Kanzleramt, ins CDU-Hauptquartier etc.“ rein. Für die Tochter sei „so gut wie alles verloren“. Glücklicherweise habe Lothar de Maizière vorher den Kontakt zur Generalstaatsanwaltschaft in Kiew aufgebaut.
Die Lobbyisten verfehlten ihr Ziel, Tymoschenko vor den Parlamentswahlen Ende Oktober 2012 aus dem Gefängnis zu holen. Aber die Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung gingen weiter.
Berlin hielt den Druck auf die Regierung in Kiew aufrecht und machte die Freilassung Tymoschenkos quasi zur Bedingung für das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine: keine Freiheit für Tymoschenko, kein Vertrag.
Janukowytsch sehnte sich wohl nach dem Abkommen, das wirtschaftliche Vorteile versprach. Dennoch konnte er sich nicht durchringen, seine Rivalin freizulassen. Zudem drohte ihm bei Unterzeichnung Ärger mit Russland. Im Herbst 2013 ließ Janukowytsch das Assoziierungsabkommen platzen und entmachtete sich damit selbst. Wenige Tage später demonstrierten die ersten Studenten auf den Straßen Kiews. Die Maidan-Revolution jagte Janukowytsch aus dem Amt – und schenkte Julija Tymoschenko die Freiheit.
In einer ihrer ersten Reden dankte Tymoschenko insbesondere Angela Merkel für deren Unterstützung.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-140508741.html
Auch bei Nadjeschda Sawtschenko fällt auf, dass während ihrer Haftzeit massive PR für sie betrieben wurde.
Hier wurde sie vorwiegend als schöne, sympathische, engelsgleiche Heldin dargestellt.
Auch dass von ihr immer als „Pilotin/Militärpilotin“ gesprochen wird, ist eine Werbestrategie, die höheres Ansehen bei den Zuschauern hervorrufen soll. Piloten genießen Respekt und werden als intelligent und ehrenvoll angesehen, während Heckenschützen (ihre tatsächliche Einsatztätigkeit im Donbass) die Assoziation zu Mördern, die Menschen heimtückisch erschießen, hervorrufen.
Timoschenko und ihrer Tochter kann man eine gewisse Attraktivität nicht absprechen. Sie können sich auch auf politischem Parkett in Gesellschaft benehmen.
Die Fassade Sawtschenkos aufrechtzuerhalten dürfte ein schwieriges Unterfangen, auch für sehr gute PR-Profis werden.